Der rote Pass beschleunigt die Integration

06.02.2017 , in ((Naturalization, Politik)) , ((Keine Kommentare))

Migrantinnen und Migranten, die die Schweizer Staatsbürgerschaft vor mehr als 15 Jahren an einer Urnenabstimmung in ihrer Gemeinde knapp erhielten, sind heute sozial viel besser integriert als diejenigen, deren Gesuche an der Urne knapp abgelehnt wurden. Zu diesem Schluss kommt die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Studie citizenship.ch der Universitäten Zürich, Stanford und der London School of Economics.

Eine Einbürgerung wirkt wie ein Katalysator auf die Integration. Vor allem Migrantinnen und Migranten aus der Türkei oder aus dem ehemaligen Jugoslawien werden durch eine schnellere Einbürgerung besser in die Gesellschaft integriert.

Wenn der Zufall über den roten Pass entscheidet

Wann Ausländerinnen und Ausländer den Schweizer Pass erhalten sollen wird kontrovers diskutiert. Die Einen wollen Migrantinnen und Migranten nach möglichst kurzer Zeit einbürgern, um deren Integration zu fördern. Die Anderen sehen in der Einbürgerung den Abschluss einer erfolgreichen Integration.

Einbürgerungsgesuche werden in der Schweiz unterschiedlich gehandhabt. Wir haben untersucht, wie sich knappe Entscheide zu Einbürgerungsgesuchen auf die betroffenen Personen auswirken. Für unsere Untersuchung konnten wir uns eine umstrittene Einbürgerungspraxis zunutze machen, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt: Die anonyme Urnen-Abstimmung über Einbürgerungsgesuche (1).

Zwischen 1970 und 2003 wurden in 46 Deutschschweizer Gemeinden in anonymen Abstimmungen an der Urne zum Teil sehr knappe Entscheide über Einbürgerungsgesuche gefällt.

«Für Einbürgerungswillige, die nur ein paar Ja-Stimmen auseinander lagen, zum Beispiel 49 Prozent für eine Einbürgerung im Gegensatz zu 51 Prozent gegen eine Einbürgerung, war es letztlich reine Glückssache, ob sie die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielten oder nicht.»
Jens Hainmueller, Universität Stanford

Über 700 Personen gaben Auskunft über ihr Leben nach dem Gesuch

Von den Migrantinnen und Migranten, deren Einbürgerungsgesuche in einer Abstimmung in einer Schweizer Gemeinde vor über 15 Jahren entweder knapp angenommen oder knapp abgelehnt worden waren, haben wir 768 Personen ausfindig machen können.

Diese Personen haben wir telefonisch befragt. Wir wollten unter anderem von ihnen wissen, ob sie sich politisch engagieren, ob sie Schweizer Zeitungen lesen, in einem Verein Mitglied sind, ob sie sich diskriminiert fühlen oder planen, ihren Lebensabend in der Schweiz zu verbringen.

Unsere Resultate zeigen, dass sich eine Einbürgerung für die Gruppe an Migrantinnen und Migranten am positivsten auswirkt, die mit den stärksten Vorurteilen zu kämpfen haben. Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei sowie nicht in der Schweiz Geborene profitieren am meisten von der Einbürgerung.

Ebenso deutlich ist der positive Effekt der Einbürgerung bei der politischen Integration: Das politische Wissen steigt bei den knapp eingebürgerten Personen auf ein Niveau an, das mit gebürtigen Schweizerinnen und Schweizern vergleichbar ist. Knapp Abgelehnte sind hingegen auch heute noch politisch marginalisiert.

«Unsere Studie zeigt, dass die Einbürgerung die soziale und politische Integration langfristig fördert. Zudem sind die positiven Effekte der Einbürgerung umso grösser, je früher sich eine Person einbürgern lässt.»
Dominik Hangartner, Universität Zürich und London School of Economics

Sollen Einbürgerungen schneller erfolgen?

Mit zwölf Jahren Aufenthaltsdauer dauert es in der Schweiz im europäischen Vergleich sehr lange, bis sich jemand einbürgern lassen kann. In Frankreich oder England genügen beispielsweise fünf Jahre Wohnsitz. Unsere Studie zeigt, dass sich eine Verkürzung der Wohnsitzpflicht positiv auf die Integration von Migrantinnen und Migranten in die Gesellschaft und damit auf die gesamte Bevölkerung auswirken könnte.

Dominik Hangartner
Projektleiter, nccr – on the move, Universität Zürich

 

(1) Einbürgerungen an der Urne
Einbürgerungen an der Urne oder Gemeindeversammlungen wurden von einigen Gemeinden vorwiegend in der Deutschschweiz praktiziert. 2003 entschied das Bundesgericht, ablehnende Entscheide von Einbürgerungsgesuche müssten begründet werden. 2007 verabschiedete die Bundesversammlung das neue Bürgerrechtsgesetz, das anonyme Abstimmungen über Einbürgerungsgesuche an der Urne ausschliesst. Vom Volk gefällte Entscheide zu Einbürgerungsgesuchen sind nur noch an Gemeindeversammlungen zulässig.

Dies ist eine gekürzte Version eines Beitrags, der am 13. Januar 2017 auf dem Blog «DeFacto – belegt, was andere meinen» veröffentlicht wurde. DeFacto berichtet über Resultate der universitären Forschung und bringt Expertenwissen aus der Politik- und verwandten Sozialwissenschaften einem interessierten Publikum näher.

 

Referenzen

Hainmüller, Jens, Dominik Hangartner, and Giuseppe Pietrantuono. “Naturalization fosters the long-term political integration of immigrants.” Proceedings of the National Academy of Sciences vol. 112, no. 41 (2015): 12651–12656.

Hainmüller, Jens, Dominik Hangartner, and Giuseppe Pietrantuono. Catalyst or Crown: Does Naturalization Promote the Long-Term Social Integration of Immigrants? Social Science Research Network, 2015.

 

Etwa 25% der über 18jährigen Personen, die in der Schweiz leben, haben auf Bundesebene kein Recht auf politische Mitwirkung, weil sie nicht eingebürgert sind und demzufolge keinen Schweizer Pass besitzen. Im Vorfeld zur Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration, die am 12. Februar 2017 stattfindet, publiziert der «nccr – on the move» eine Reihe von Blog-Beiträgen mit Daten und Fakten zur Einbürgerung in der Schweiz.

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