Im umkämpften Zürcher Wohnungsmarkt Hürden abbauen

14.11.2019 , in ((Visible Minorities)) , ((Keine Kommentare))

Auf dem angespannten Zürcher Wohnungsmarkt haben es alle schwer, eine günstige Wohnung zu finden, einige jedoch mehr als andere. Diskriminierung kann ein Grund von vielen für eine Absage sein. Weil das Angebot knapp und der Druck auf die Entscheidungsträger*innen hoch ist, gehen diese häufig den Weg des geringsten Widerstandes und wählen Mieter*innen, die ihnen vertraut sind. Deshalb gilt es, pragmatisch Hürden abzubauen und Vertrauen zu schaffen.

Lassen Sie sich auf folgendes Gedankenexperiment ein: Sie verwalten ein Mehrfamilienhaus in Zürich für eine private Eigentümerin. Die vier 3.5-Zimmer-Wohnungen sowie die grosszügige 5-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss können zu einem moderaten Preis vermietet werden, weil es sich um einen soliden Altbau handelt und im Moment keine Investitionen nötig sind. Eine Wohnung wird frei. Ihre Auftraggeberin hat Ihnen keine Vorgaben zur Auswahl der Mieterinnen und Mieter gemacht ausser der Anmerkung, dass sie «ins Haus passen» müssen. Sie hat aber klar gemacht, dass sie nichts mit der Vermietung zu tun haben möchte.

Wie gehen Sie vor? Sie wissen, in Zürich werden Sie von einer Flut von Anfragen weggespült, wenn Sie die Wohnungen auf den einschlägigen Portalen (Homegate, Comparis, etc.) ausschreiben. Trotzdem müssen Sie inserieren: In den internen Leitlinien Ihrer Firma ist das so verankert. In einem ersten Schritt werden Sie auf Anfrage hin die Besichtigungstermine für frei werdende Wohnung bekanntgeben. Sie überlegen sich, nach dem Prinzip «first come, first serve» zu arbeiten und lediglich die ersten 20 Anfragen zu beantworten. Eine grössere Zahl von Personen an der Besichtigung wäre kaum zu bewältigen, zumal Sie sich dafür höchstens zwei Stunden reservieren können.

Ist dieses Vorgehen bereits diskriminierend? Nein. Es wird keine Gruppe aufgrund bestimmter, gemeinsamer Merkmale ausgeschlossen. Zuerst melden werden sich vermutlich Menschen, die ein Such-Abo haben und entsprechend zeitnah über das Inserat benachrichtigt werden. Das Einrichten eines Such-Abos auf einer Website erfordert allerdings eine gewisse Übersicht und die Kompetenz, sich in der digitalen Welt zu bewegen – und natürlich die Möglichkeit, regelmässig seine Mails zu checken.

An der Besichtigung lernen Sie die Mietinteressent*innen kurz kennen. Sie vertrauen gerne auf Ihr Bauchgefühl und auf den ersten Eindruck. Natürlich prägen Sie sich die Menschen eher ein, die Ihnen besonders positiv (die freundliche junge Familie, die sich nach der Schule in der Umgebung erkundigt) oder besonders negativ (der blonde Anzugträger, der ob des nicht mehr ganz neuen Backofens sichtbar die Nase rümpft) auffallen.

Am nächsten Tag trudeln die Bewerbungen ein. Schon die zweite Mail ist von der jungen Familie. Das komplette und sorgfältig zusammengestellte Bewerbungsdossier mit gut leserlich ausgefülltem Anmeldeformular, einem sympathischen Bewerbungsschreiben mit Foto (das Baby ist wirklich süss…), den Betreibungsregisterauszügen (ohne Einträge) und sogar der Kopie der letzten Steuerrechnung (das Einkommen ist ausreichend) nimmt Sie vollends für die Familie ein. Sie sind dankbar, dass Sie sich lästige Nachfragen für Unterlagen sparen können, holen noch rasch die Referenzen beim aktuellen Vermieter und den Arbeitgebenden ein und sind froh, dass die Vermietung so reibungslos geklappt hat. Für die Durchmischung der Mieterschaft ist die Familie auch super, sind doch einige Hausbewohner*innen schon im Pensionsalter.

Haben Sie die anderen zur Besichtigung eingeladenen Bewerber*innen diskriminiert? Jein. Jede*r hatte die Chance, einen guten Eindruck zu machen. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie eine Schweizer Familie oder eine Familie aus unseren Nachbarländern gewählt haben. Denn sympathisch ist uns das, was wir kennen.

Ethnische Diskriminierung im Wohnungsmarkt existiert…

Eine im Beitrag von Daniel Auer zu dieser Serie vorgestellte aktuelle Studie des Bundesamtes für Wohnungswesen untersuchte die ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt (Auer et al. 2019). Beobachtet wurde die Reaktion von Wohnraumanbietenden auf Anfragen für Besichtigungstermine. Dabei wurden die Namen der fiktiven Mietinteressent*innen so gewählt, dass klare Rückschlüsse auf die ethnische Herkunft möglich sind.

Dass Personen mit kosovarisch oder türkisch klingenden Namen signifikant weniger Chancen haben, zu einem Besichtigungstermin eingeladen zu werden, stimmt nachdenklich. Welche Stereotype werden da bedient? Und was sagt ein Name darüber aus, wie jemand wohnt? Zuversichtlich stimmt hingegen, dass «die Qualität des Anfragetextes die Wahrscheinlichkeit einer positiven Antwort wesentlich beeinflusst: Im Vergleich zu einem Standardtext liegt die Antwortrate bei freundlicheren Anfragen etwa 5 Prozent höher, während Anfragen mit dem minimalen Standardtext von Online-Portalen eine etwa 10 Prozent tiefere Antwortrate aufweisen» (Auer et al. 2019).

…aber sie kann mit Information und Unterstützung abgebaut werden

Auf den guten Ton kommt es eben auch an – und hier setzt die Stiftung Domicil mit ihrer Arbeit an: In der Vermittlung und Begleitung von Mietverhältnissen besteht unsere Arbeit darin, Hürden abzubauen, so dass Menschen als Menschen und nicht als Schweizerinnen oder Kosovaren gesehen werden. Die oben zitierte Studie zeigt auch, dass in urbanen Regionen die Wahrscheinlichkeit tiefer ist, dass Personen mit ausländischen Namen diskriminiert werden. In Zürich jedenfalls gibt es für eine günstige Wohnung 100 Bewerbungen und damit mindestens ebenso viele gute Gründe, warum eine Bewerbung berücksichtigt wird – oder eben nicht. Denn Vermieter*innen haben die Qual der Wahl und gehen daher pragmatisch den Weg des geringsten Widerstands. Dass Pragmatismus ihre Entscheidung anleitet, ist der Punkt, an dem wir ansetzen, um die Chancen für alle zu erhöhen.

Spielen wir das Gedankenexperiment weiter: In der Zwischenzeit wohnt die Familie seit einem Jahr in der Wohnung. Leider hat sie sich als sehr pingelig entpuppt. Der Vater will nicht akzeptieren, dass der Backofen nicht ersetzt wird und dass der Kühlschrank laut summt. Vielleicht wäre es doch einfacher gewesen, die Wohnung der syrischen Familie zu vermieten, die sich mit Domicil als Solidarhafterin beworben hatte. Denn Domicil kennt ihre Wohnungssuchenden und die Herausforderungen die sich ihnen als Mieter*innen sowie den Vermietenden stellen. Von Domicil hätte die Familie auch eine solide Einführung erhalten und Unterstützung, falls das Einleben im neuen Wohnumfeld nicht auf Anhieb geklappt hätte. Wäre das nicht der Weg des noch geringeren Widerstands gewesen? Und eine noch grössere Bereicherung für die Mieterschaft des Hauses?

Nadine Felix ist Geschäftsleiterin der Stiftung Domicil in Zürich. Domicil vermittelt Wohnungen an Familien, Paare und Einzelpersonen in Zürich, die ohne Unterstützung Mühe haben, eine Wohnung zu finden. Domicil haftet solidarisch im Mietvertrag und begleitet die Mietverhältnisse sofern nötig.

Referenzen:

– Auer, Daniel; Lacroix, Julie; Ruedin, Didier; Zschirnt, Eva (2019). Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt. Grenchen: Bundesamt für Wohnungswesen BWO.

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