Wie wir leben wollen – Die Weiterentwicklung der aktuellen schweizerischen Integrationspolitik

03.05.2016 , in ((Politique)) , ((Pas de commentaires))

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat in den vergangenen Jahren verschiedene migrationsrechtliche Volksinitiativen angenommen. Das nationale Parlament hat ebenso das Asylgesetz wie das Bürgerrecht revidiert und demnächst wird es über das Ausländergesetz debattieren. Gleichzeitig arbeitet der Bundesrat intensiv an einer Lösung zur Umsetzung der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative. Und nicht zuletzt tritt am 1. Oktober 2016 die Umsetzungsgesetzgebung der Ausschaffungsinitiative in Kraft.

Diese Auflistung ist nicht abschliessend, zeigt aber deutlich auf, dass das Migrationsrecht sich zukünftig verändern wird. Das Recht, als Regelwerk des ökonomischen, religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenlebens, spielt eine wichtige Rolle im Bereich der Integration. Zwar können gesetzliche Grundlagen Integration nicht abschliessend und umfassend definieren, sie können jedoch Rahmenbedingungen schaffen. In den letzten Jahren fand eine starke Verrechtlichung der Integrationspolitik in der Schweiz statt. Der Bundesrat, das nationale Parlament und die Kantone versuchen Integration mit Hilfe des Rechts zu gestalten. Gleichzeitig scheint es, dass die Tendenz in Richtung «Integration auf Befehl» geht: wer sich nicht anpasst, der muss die Schweiz verlassen. Eine solche Grundhaltung ist angesichts der heutigen Gesellschaftsverhältnisse nicht mehr zeitgemäss.

Ein gesamtheitliches Integrationskonzept

Ein gesamtheitliches Integrationskonzept bezieht alle Personen, unabhängig ihres Aufenthaltstatus, aktiv in die Integrationsförderungen und Integrationsforderungen ein: Sowohl die Mehrheitsgesellschaft wie auch Personen (noch) ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Entsprechend richten sich auch Integrationsprogramme an alle Personen. Gute Beispiele dafür sind die Integrationsprogramme der Städte Stuttgart und Hamburg. Beide Städte appellieren an alle Einwohnerinnen und Einwohner, beziehen sie aktiv ein und entsprechend sind auch die Formulierungen in den Integrationsprogrammen ausgestaltet. Ziel ist, dass ein gemeinsamer sozialer und kultureller Zusammenhalt für alle und mit allen Menschen erarbeitet wird. Die Integrationsdebatte basiert somit auf gemeinsamen Werten: es muss ein «Wir-Gefühl» geschaffen werden.

Teilnahme und Teilhabe

Das aktuelle Prinzip von «Fördern und Fordern» umfasst oftmals Projekte zum Erlernen der Sprache, interkulturelle und interreligiöse Begegnungen sowie Arbeitsmarktcoaching. Dabei will die gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilnahme- und Teilhabemöglichkeit einer ausländischen Person verbessert werden. Diese beiden Begriffe müssen zukünftig breiter ausgelegt werden. Es muss darum gehen, dass alle Personen in allen Sphären der Gesellschaft die Möglichkeit erhalten, teilzunehmen und teilzuhaben. Allfällige Hindernisse müssen eliminiert oder ausgeglichen werden. Die Grundsätze der Teilnahme und Teilhabe verlangen zudem die Einbindung in die politischen Institutionen bis hin zu einer aktiven Einbürgerungspolitik; und damit meine ich einen aktiven Bezug des Bürgerrechts zur Integrationspolitik. Weil das Ausländergesetz keinen aktiven Bezug auf das Bürgerrecht nimmt, gibt es bis heute nur eine ungenügende Verbindung zwischen dem Ausländergesetz und dem Bürgerrechtsgesetz.

Mit der Einführung der Voraussetzung einer Niederlassungsbewilligung für den Erwerb des Schweizer Passes ist eine Verbindung hergestellt, indem das Parlament eine Logik in den «rechtlichen Lebenslauf» – den Integrationsweg – einer ausländischen Person gebracht hat. Anders ausgedrückt: Eine ausländische Person startet seinen/ihren Aufenthalt mit einer Aufenthaltsbewilligung und muss zuerst eine Niederlassungsbewilligung erwerben, bevor er/sie – als letzter Schritt einer gelungenen Integration – die Schweizerische Nationalität erhält.

Die Visualisierung zeigt den juristischen Integrationsweg einer ausländischen Person basierend auf den wichtigsten Aufenthaltstiteln auf. Der Aufenthaltstatus N ist im Asylgesetz verankert, während die Aufenthaltstitel F, B und C im Ausländergesetz geregelt sind. Je nach Aufenthaltstitel sind die Rechte und Pflichten stärker ausgestaltet. Unterschiede sind insbesondere im Bereich des Arbeitsmarktzugangs und des Familiennachzugs auszumachen.
Copyright: Stefanie Kurt / Florian Amoser

Diese Änderung zeigt zwar den erwähnten Bezug, verdeutlicht aber auch, dass die Einbürgerung in der Schweiz nicht als Element der Integrationspolitik verstanden wird, sondern als Belohnung für die gelungene Integration gilt. Es ginge auch anders: Dass frühe Einbürgerungen einen nachhaltigen Integrationseffekt haben, zeigt eine Studie von 2015. In der Schweiz ist eine aktive Einbürgerungspolitik derzeit einzig in Genf ersichtlich. Nach wie vor wird zwar die Integration der EinbürgerungskandidatInnen geprüft, jedoch wurden die administrativen Abläufe vereinfacht und beschleunigt. Entsprechend ist die Zahl der eingebürgerten Personen stark angestiegen. Dies ist ein gutes Beispiel, wie Einbürgerung als Teil der Integrationspolitik in der Praxis umgesetzt werden kann.

Anerkennung und Schutz

Die Frage der Anerkennung von Menschen und Gruppierungen ist eng mit dem Prinzip der «Teilnahme und Teilhabe» verbunden. Der Staat soll Teilnahme und Teilhabe fördern und fordern, muss aber gleichzeitig deren Personen und Gruppierungen anerkennen und einbinden. Aus rechtlicher Sicht kann dabei die Anerkennung im Gesetz selbst vorgesehen werden (Bsp. öffentlich-rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften). Aber auch eine aktive Einbürgerungspolitik enthält das Element der Anerkennung – der Staat bekennt sich aktiv zu seinen längerfristig anwesenden ausländischen Personen. Ein juristischer Status gibt dabei Rechte und Pflichten und widerspiegelt gleichzeitig Identität. Der Staat wie auch die Mehrheitsgesellschaft soll dabei ihre sozialen, kulturellen und religiösen Minderheiten anerkennen und ihnen Rechte zugestehen. Mindert aber ein Staat die mit dem Aufenthaltstitel verbundenen Rechte und Pflichten, so wirft dies die Frage nach dem staatlichen Schutz auf: Der Staat ist verpflichtet, gesetzliche Instrumente zu entwickeln, die den Schutz aller seiner EinwohnerInnen und Gruppierungen längerfristig sichert. Entsprechend ist auf Verbote von bestimmten Symbolen oder Praktiken zu verzichten und der Ausgrenzung sowie Stigmatisierung eine Absage zu erteilen.

Wie aufgezeigt, kann also der aktuelle Grundsatz «Fördern und Fordern» der Schweizerischen Integrationspolitik weiterentwickelt werden und zwar hin zu einem gesamtheitlichen Ansatz. Grundlage davon müssen die Elemente Teilnahme und Teilhabe, Anerkennung und Schutz bilden. Das Recht widerspiegelt dabei teilweise diese Schlagwörter, weiterentwickelt können sie jedoch zu einem gesamtheitlichen Ansatz in der Integrationspolitik führen. Dies bedingt aber, dass alle Menschen aktiv miteinbezogen werden, um das gemeinsame Zusammenleben zu gestalten. Denn nur so können wir entscheiden, wie wir leben wollen.

Stefanie Kurt
PostDoc, nccr – on the move, Universität Neuenburg

 

Weiterführende Informationen

Huddleston, Thomas, and Maarten P Vink. “Full membership or equal rights? The link between naturalization and integration policies for immigrants in 29 European states”. In: Comparative Migration Studies, 3:8, 2015.

Henkes Christian, and Anne Saskia Stuhler. Participation and Recognition, European Approaches to a Social Democratic Integration Policy. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, International Policy Analysis, 2010.

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