Arbeiten in der Schweiz? Berufliche Integration und die Rolle der Sozialen Arbeit

09.06.2020 , ((1 Commentaire))

Wer kennt ihn nicht, den Taxisfahrer aus dem Iran oder Nigeria, der eigentlich Geschichtsprofessor oder Ingenieur ist und nun Geschäftsleute und Partygänger*innen in den Städten herum chauffiert. Oder die Juristin aus Aserbaidschan, die in der Schweiz als Freiwillige tätig ist, sich selbständig Fachwissen zum schweizerischen Migrationsrecht erarbeitet hat, aber keine Chance auf eine Anstellung bekommt. Und was ist mit denjenigen, die keine Hochschulbildung vorweisen können?

Um es gleich vorweg zu nehmen, in der Schweiz sind rund 30 Prozent ausländische Arbeitnehmer*innen beschäftigt, sei es im Niedriglohnsektor, wie dem Bau- und Gastrogewerbe oder als Hochqualifizierte, etwa im Finanz- oder IT-Sektor. Doch: 18 Prozent aller Eingewanderten mit einem Universitätsabschluss sind überqualifiziert für ihre Arbeit, während jede*r zweite Migrant*in im Asylbereich über ungenügende Grundkompetenzen verfügt.

Kommen sie aus einem EU/EFTA-Land oder werden sie als Hochqualifizierte angeworben, ist die Frage der Arbeitsmarktintegration für die offizielle Schweiz gelöst. Anders sieht es bei anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen aus. Eine UNHCR-Studie (2014) weist aus, dass über die Hälfte dieser Personengruppe «keinen Schulabschluss oder nur eine obligatorische Schulbildung absolviert hat». Eine solche Ausgangslage erschwert die wirtschaftliche Integration. So gelingt es nur jedem dritten anerkannten Flüchtling eine Stelle zu finden und finanziell unabhängig zu werden.

Herausforderungen der sprachlichen, sozialen und beruflichen Integration sind daher zentral im Beratungsalltag der Sozialen Arbeit mit Zugewanderten. Fundierte methodische Kenntnisse sowie eine gute Vernetzung sind Voraussetzungen dafür, dass Sozialarbeitende ihre Klientel gezielt und erfolgreich im Integrationsprozess unterstützen können. Sei es in einem Sozialdienst, als Integrationsbeauftragte oder als Beraterin und Coach in einem auf Integration von Zugewanderten ausgerichteten Projektes, arbeiten Sozialarbeitende mit Menschen, die vor erschwerten Bedingungen stehen, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern und finanziell unabhängig zu werden.

Fordern oder Fördern?

Mit der ersten Integrationsverordnung vom 2008 wurden erstmals Ziele der Integrationspolitik festgehalten und das Integrationskonzept des Förderns und Forderns formuliert. Dieses appelliert an die Selbstverantwortung (Fordern) und bietet Sprach- und Integrationskurse zur Förderung der Vermittlungs- und Arbeitsfähigkeit (Fördern) an (UNHCR 2014). Wicker (2009) präzisiert, dass das Konzept Fördern und Fordern «auf den Integrationswillen des Einzelnen» abstützt, während «die Integrationsfähigkeit von Gruppen anhand ihrer Herkunftsregion prognostiziert wird». Dies führt zu einer Zweiteilung in «integrationsfähige (und -willige) EU/EFTA-Zuwandernde und a priori schwierigerer integrierbare Drittstaatsangehörige, welche entsprechend mit Zuwanderungsbeschränkungen bzw. höheren Anforderungen an «Integrationsleistungen» belegt werden» (Wicker 2009, zitiert in Probst et al. 2019).

Integration wird in der Schweiz zudem als eine Verbundaufgabe von Wirtschaft, Gesellschaft und Gemeinwesen verstanden und soll grundsätzlich über Regelstrukturen erfolgen. Ist dies nicht möglich, kommen die Massnahmen der spezifischen Integrationsförderung der kantonalen Integrationsprogramme (KIP) zum Zuge (Kurt 2019). Diese stützen sich auf drei Pfeiler: Information und Beratung, Bildung und Arbeit, sowie Verständigung und gesellschaftliche Integration. Die Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit folgt zwei Zielen:

  • Rasche wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit;
  • Frühe Erkennung und Förderung von Fähigkeiten und Talente, mittels Potentialabklärung.

Mit dem neuen Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) wurde zudem die Integrationsagenda eingeführt und in die KIP eingebettet. Die Integrationsagenda sieht eine durchgängige Begleitung von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen vor, um sie rascher in den Arbeitsmarkt oder in eine Ausbildung zu integrieren.

Herausforderungen und Ressourcen von Betroffenen

Die bereits oben erwähnte UNHCR-Studie (2014, 22) stellte fest, dass die meisten anerkannten Flüchtlinge und Asylsuchende dankbar für die Aufnahme sind und sich mittelfristig eine Erwerbstätigkeit wünschen, die sie finanziell selbständig macht. Aus der Studie geht ebenso der Wunsch der Betroffenen nach einer gesellschaftlichen Teilnahme und Teilhabe hervor.

Fehlende Sprachkenntnisse, keine oder nicht anerkannte Ausbildungen sind Haupthindernisse auf dem Weg der arbeitsmarktlichen Integration. Oft fehlt es an Grundkompetenzen in Mathematik oder Technologie, wovon in der Schweiz rund 400’000 bis 1.5 Millionen Personen unabhängig vom Aufenthaltsstatus betroffen sind – insbesondere Erwachsene ohne nachobligatorische Ausbildung sowie Migrant*innen. Damit steigen für die Betroffenen die Risiken von Armut, Gesundheitsproblemen und Arbeitslosigkeit.

Trotz erschwerten Bedingungen für den Einstieg in eine Erwerbstätigkeit, verfügen auch Zugewanderte mit tiefem Bildungsniveau oder nicht angerkannten Abschlüssen über wichtige Ressourcen. Vorausgesetzt, dass keine psychischen Beeinträchtigungen vorliegen, konnten sie sich im Verlaufe ihres Lebens und/oder durch die Migration eine beachtliche Resilienz und Ausdauer aufbauen. Die Auseinandersetzung mit dem Heimatland und dem Aufnahmeland, die Anforderungen, die an sie gestellt werden durch den Migrationsprozess kann auch die transkulturelle Kompetenz stärken.

Hier wird die Soziale Arbeit in die Pflicht genommen. Eine Potenzialabklärung von Sprachstand oder Ausbildungsabschlüssen reicht nicht. Es gilt, genau hinzuschauen und die weniger sichtbaren Ressourcen zu aktivieren. Methoden der ganzheitlichen Förderung, die zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Stärkung der sozialen Integration beitragen können, müssen eingesetzt werden.

Und der taxifahrende Ingenieur?

Und wie kommen jetzt die freiwillig tätige Juristin und der taxifahrende Ingenieur zu einer Stelle im gelernten Bereich? Den Weg der Diplomanerkennung haben viele bereits hinter sich. Nicht immer erfolgreich. Oft wird ein zusätzliches Studium an einer Schweizer Hochschule nötig oder eine neue Ausbildung mit eidgenössisch anerkanntem Diplom. Dies verlangt ein erhebliches Anpassungsvermögen und einen grossen Arbeitseinsatz, ohne jede Garantie, dass ein Einstieg gelingt. Gelingt damit jedoch der Einstieg in die Arbeitswelt, können sie ihr Potenzial einsetzen und weiter entfalten.

Daniela Duff ist Dozentin an der Hochschule für Soziale Arbeit, Hes-So Valais/Wallis in Siders und unterrichtet unter anderem zu Migration und Menschenrechten.

Referenzen:

– Kurt Stefanie (2019). Der Zugang zu Bildung für geflüchtete Personen in der Schweiz, RdJB Zeitschrift für Schule, Berufsbildung und Jugenderziehung, Heft 2, 220.
– Probst, Johanna, D’Amato, Gianni, Dunning, Samantha, Efionayi-Mäder, Denise, Fehlmann, Joëlle, Perret, Andreas, Ruedin, Didier und Sille, Irina (2019). Kantonale Spielräume im Wandel. Migrationspolitik in der Schweiz, SFM Studie #73, Neuchâtel.
– UNHCR (2014). Arbeitsmarktintegration. Die Sicht der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen in der Schweiz, Studie, Genf.
– Wicker, Hans-Rudolf (2009). Die neue schweizerische Integrationspolitik, in: Piñeiro, Esteban, Isabelle, Bopp und Georg Kreis (Hrsg.), Fördern und Fordern im Fokus. Leerstellen des schweizerischen Integrationsdiskurses. Zürich: Seismo, 23-46.

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