Edito: Soziale Arbeit im Migrationsrecht

28.05.2020 , in ((Social Work)) , ((1 Commentaire))

Soziale Arbeit im Migrationsbereich kennt zahlreiche Ausprägungen und beinhaltet eine Vielzahl an Herausforderungen. Professionelle der Sozialen Arbeit finden sich dabei oft in komplexen rechtlichen Situation wieder. Ein aktuelles Beispiel ist das Zusammenspiel zwischen Sozialhilfebezug und Migrationsrecht, das zunehmend von Restriktionen geprägt ist und dessen Entwicklung aufmerksam beobachtet werden sollte.

Professionelle der Sozialen Arbeit können direkt in das Migrationsregime eingebunden sein, beispielsweise durch die Tätigkeit in Sozialdiensten, Integrationsfachstellen und/oder im Asylwesen. Ebenso können sie indirekt mit dem Migrationsrecht in Berührung kommen, etwa im Rahmen der Schulsozialarbeit. Denn aufgrund der Ausweitung der Kommunikationspflicht gegenüber den Migrationsbehörden müssen Schulsozialarbeitende ihnen neu definitive Schulauschlüsse von ausländischen Kindern (mit Ausnahme von sogenannten Sans-Papiers) melden.

Die Soziale Arbeit im Migrationsbereich ist aufgrund der aktuellen Covid-19-Krise und ihrer ökonomischen Folgen dabei besonders gefordert. Nachfolgend zwei Beispiele der migrationsrechtlichen Konsequenzen von Sozialhilfebezug für den Aufenthalt, aber auch für die Einbürgerung.

Aufenthaltsstatus und Sozialhilfe

Eine am 27. April 2020 veröffentlichte Studie der ZHAW Soziale Arbeit stellt fest, dass die Fallzahlen in der Sozialhilfe in den Deutschschweizer Kantonen aktuell steigen. Drei der 169 befragten Fachpersonen von Sozialdiensten betonen, dass die Zahl von Gesuchen durch Ausländer*innen gering ist. Die Autor*innen nehmen an, dass diese Personen zurückhaltend sind, da sie befürchten, durch Sozialhilfebezug ihren Aufenthaltsstatus zu gefährden.

Ein Blick ins das aktuelle Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) unterstreicht diese Besorgnis. Darin werden Sozialdienste verpflichtet, den Sozialhilfebezug von Ausländler*innen an Migrationsbehörden zu melden, woraufhin letztere die Aufenthalts- und seit dem 1. Januar 2019 neu auch die Niederlassungsbewilligung aufgrund von Sozialhilfebezug widerrufen können. Dies gilt auch für niedergelassene Ausländer*innen, welche sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten, denn ein entsprechender Schutzmechanismus für diese Gruppe wurde im Zuge der AIG-Revision ersatzlos gestrichen.

Die Zeitung der Bund, Watson und die Gewerkschaft UNIA berichteten, dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) die kantonalen Migrationsbehörden aufgerufen hat, die ausserordentlichen Umstände der Covid-19-Pandemie bei Ermessensentscheiden zu würdigen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob der Sozialhilfebezug aufgrund der Covid-19-Situation eintrat. Weiter geht die Forderung des Instituts Neue Schweiz (INES). Dieses fordert in einem öffentlichen Apell den Bundesrat, die Kantone und die zuständigen Behörden auf, die Berücksichtigung des Kriteriums der wirtschaftlichen Integration angesichts der Corona-Pandemie auszusetzen. Ob und wie dies durch die Kantone so gehandhabt wird, bleibt abzuwarten. Das laufende «nccr – on the move»-Forschungsprojekt «Governing Migration and Social Cohesion through Integration Requirements: A Socio-Legal Study on Civic Stratification in Switzerland» untersucht die Schnittstelle von Entzug des Aufenthaltsrechts und Sozialhilfe. Erste Resultate deuten auf «eine stärkere Annäherung und Vermischung der Zielsetzungen und Aufgaben der Sozialhilfe einerseits und der Zuwanderungs- und Aufenthaltssteuerung andererseits hin».

Keine Einbürgerung bei Sozialhilfe

Art. 12 Abs. 1 let. d des Bürgerrechtsgesetzes hält fest, dass als erfolgreich integriert gilt, wer am Wirtschaftsleben teilnimmt. Nicht erfüllt ist dieses Erfordernis gemäss Bürgerrechtsverordnung Art. 7 Abs. 3, wenn eine niedergelassene Person in den drei Jahren vor der Gesuchstellung oder während des Einbürgerungsverfahrens Sozialhilfe bezog – ausser, der bezogene Betrag wurde vollständig rückerstattet.

Aufgrund der föderalen Ausgestaltung des Einbürgerungsverfahrens können die Kantone restriktivere Voraussetzungen vorsehen. So haben einige Kantone, beispielsweise kürzlich der Kanton Aargau, in ihren kantonalen Gesetzen diese Frist von drei auf zehn Jahre erhöht. Ausländische Personen, welche ein Einbürgerungsgesuch stellen wollen, dürfen also in den vorhergehenden 10 Jahren keine Sozialhilfe bezogen haben.

Der Bezug von Sozialhilfe hat langfristige (rechtliche) Konsequenzen

Diese zwei Beispiele bezüglich des Zusammenspiels von Sozialhilfebezug, Aufenthaltsstatus und Einbürgerung illustrieren die weitreichende Wirkung des Migrationsrechts. Von diesen Konsequenzen betroffen ist auch der Berufsalltag der Sozialen Arbeit. Neben der beschriebenen Meldepflicht an die Migrationsbehörden üben Sozialdienste und andere Stellen auch anderweitig migrationsrechtlichen Druck auf Ausländer*Innen aus, etwa aufgrund der sogenannten Mitwirkungspflicht in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren.

Diese vielschichtige und komplexe Interaktion zwischen Migrationsregime und Sozialwesen bedarf einer vertiefteren Klärung und Aufmerksamkeit in der Forschung, Lehre und Praxis der Sozialen Arbeit, auch im Nachgang zur Covid-19-Pandemie. Die zweite Ausgabe der Blogserie Soziale Arbeit, Migration, Mobilität und Integration widmet sich erneut unterschiedlichen Kontexten der Sozialen Arbeit im Migrationsbereich. Gewisse Blogbeiträge thematisieren grundsätzliche Aspekte, andere bieten einen Einblick in abgeschlossene und laufende (anwendungsorientierte) Forschungsprojekte sowie Gedankenanstösse zur Schnittstelle von Sozialer Arbeit und Migrationsrecht. Ich wünsche eine gute Lektüre.

Stefanie Kurt ist Assistenzprofessorin (Tenure Track) an der HES-SO Valais-Wallis am Institut Soziale Arbeit in Siders (VS).

References:

– David Lätsch, Stefan Eberitzsch und Ida Ofelia Bring (2020). Steigende Fallzahlen in der Sozialhilfe und Einschränkungen im Kindesschutz: wie Sozialdienste in der Deutschschweiz von der Corona-Krise betroffen sind, Zurich: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (27. April 2020).
– Tobias G. Eule, Lisa Marie Borrelli, Annika Lindberg und Anna Wyss (2020). Hinter der Grenze, vor dem Gesetz, Eine Ethnografie des europäischen Migrationsregimes. Originalausgabe: Migrants before the Law. Contested Migration Control in Europe, Palgrave, aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler, Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlag (April 2020).

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