Rassismuserfahrungen dunkelhäutiger Pflegefachpersonen

22.10.2019 , in ((Visible Minorities)) , ((Keine Kommentare))

Vermutlich werden künftig vermehrt Pflegefachpersonen mit dunkler Hautfarbe in Schweizer Gesundheitseinrichtungen arbeiten. Ihre Hautfarbe macht diese Personen in den «white spaces» der mehrheitlich Weissen Schweizer Gesellschaft sofort und unvermeidlich sichtbar, trotzdem gibt es bisher nur wenig Daten über Anti-Schwarzen-Rassismus in Gesundheitseinrichtungen. Die im folgenden Beitrag vorgestellten Studienergebnisse liefern erste Erkenntnisse und Empfehlungen.

Welche Erfahrungen machen dunkelhäutige Pflegefachpersonen in Schweizer Gesundheitseinrichtungen mit rassistischer Diskriminierung? Im Rahmen einer Masterarbeit (2019) in Interkultureller Kommunikation (Universität Lugano) wurden zehn Einzelinterviews mit dunkelhäutigen diplomierten Pflegefachfrauen, bzw. Fachangestellten Gesundheit (FaGe) zu dieser Frage durchgeführt. Die Teilnehmerinnen arbeiten in Gesundheitseinrichtungen der deutschen respektive der französischen Schweiz, sprechen fliessend eine der Landessprachen (Schweizerdeutsch/Hochdeutsch oder Französisch) und kamen in jungen Jahren in die Schweiz, wurden in der Schweiz geboren oder von einer Schweizer Familie adoptiert.

Rassistische Diskriminierung überwiegend seitens der Patient*innen

Vorfälle von offenem Rassismus kamen weitaus häufiger in Alters- und Pflegeheimen vor als in Akut-Spitälern und gingen vor allem von älteren Patient*innen aus. Dazu gehören Aussagen wie «Die Negerin muss dann morgen nicht wieder kommen!» oder «Waren Sie lange in der Sonne?». Allerdings waren sich diese (wir sprechen nicht von dementen Patient*innen) der rassistischen Konnotation ihrer Sprache nicht immer bewusst.

Die meisten rassistischen Diskriminierungen von Seiten der Patient*innen äusserten sich allerdings in subtilen Bemerkungen, welche jedoch eine deutliche Botschaft beinhalteten: «Woher kommen Sie denn ursprünglich?» oder «Warum sprechen Sie denn so gut Schweizerdeutsch?» Diese Formen von Alltags-Rassismus wurden nicht unbedingt als beleidigend interpretiert, hinterliessen jedoch das Gefühl, sich ständig verteidigen zu müssen oder konstant an die Nichtzugehörigkeit erinnert zu werden. Folgendes Zitat zeigt derartige indirekte Formen von Ablehnung:

«Man spürt einfach, ob Jemand einen akzeptiert oder ob es Spannungen gibt. Man erkennt es auch am Gesichtsausdruck oder daran, dass der/die Patient*in nur knappe Antworten gibt oder einfach ganz still ist.»

Die Teilnehmerinnen wurden oft mit der Frage konfrontiert: «Kann ich bitte mit der Krankenschwester sprechen?», da Patient*innen oder Angehörige oft (unbewusst) davon ausgingen, dass sie Reinigungsfachkräfte oder Pflegehelferinnen sind.

Degradierung durch andere Mitarbeiter*innen oder Vorgesetzte

Im eigenen Team trat Rassismus sehr wenig oder gar nicht auf. Im weiteren Arbeitsumfeld, sowie durch andere medizinische Fachkräfte wurden jedoch Formen von Degradierung, Abwertung oder Unterschätzung erfahren, z.B. dass Weisse Pflegefachpersonen öfters angesprochen wurden als dunkelhäutige. Das aus dieser Abwertung resultierende Gefühl, keine Fehler machen zu dürfen, ständig mehr leisten zu müssen als die Anderen, um die gleiche Anerkennung oder die gleiche Wirkung zu erzielen, kannten fast alle Interviewten.

Ein Bewusstsein und Lösungsansätze für den Umgang mit Rassismus fehlen

Die am häufigsten praktizierte Strategie im Umgang mit erlebtem Rassismus war das Abtauschen von Patient*innen. Diese Massnahme wurde jedoch kritisch hinterfragt und die direkte Konfrontation mit den Patient*innen als wünschenswert erachtet. Dies, um den Patient*innen nicht die Wahl der betreuenden Person basierend auf der Hautfarbe zu überlassen und damit der Reproduzierung von rassistischen Verhaltensweisen Vorschub zu leisten.

Weder während der Ausbildung noch in internen Fortbildungen wurde Anti-Schwarzen-Rassismus spezifisch thematisiert. Die Teilnehmerinnen bezeugten, dass die Mehrheit der Arbeitskolleg*innen sowie der Vorgesetzten davon ausgehen, dass es heutzutage keinen derartigen Rassismus mehr gibt. Folgendes Zitat spiegelt typische Reaktionen:

«Das darfst Du nicht persönlich nehmen. Der/Die Patient*in ist hospitalisiert und wahrscheinlich mit der ganzen Situation einfach überfordert. Du darfst nicht rassistisch denken.» Darauf antwortete die Interviewpartnerin: «Warst du jemals dunkelhäutig, da du immer so genau weisst, wie sich dies anfühlt?»

Es scheint kein Bewusstsein dafür vorhanden zu sein, dass Anti-Schwarzen-Rassismus im Gesundheitsbereich existiert. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf, die Problematik sowohl in der Ausbildung als auch institutionell anzugehen. Die Teilnehmerinnen wünschten deshalb ausdrücklich einen offenen Diskurs über Anti-Schwarzen-Rassismus und zwar in der Ausbildung als auch im Team.

Für Aufklärung und einen konstruktiven Dialog

Die täglichen Erfahrungen der interviewten Pflegefachfrauen, bzw. FaGes am Arbeitsplatz zeigen, dass sie von unbekannten Personen zuerst als Schwarze oder dunkelhäutige Person wahrgenommen werden und somit als Jemand, der nicht aus der Schweiz kommt. Trotzdem fehlt sowohl der Mehrheitsgesellschaft als auch im Bereich des Gesundheitswesens das Bewusstsein dafür, dass solche Formen des Rassismus existieren. Der erste Schritt muss deshalb darin bestehen, die verschiedenen Formen von Rassismus gegenüber Schwarzen oder dunkelhäutigen Personen in der Schweiz nicht weiter zu leugnen oder zu verharmlosen, sondern das Bewusstsein für deren Existenz zu fördern. Da die Mehrheitsbevölkerung Rassismus oft mit dem von ihr abgelehnten ideologisch motiviertem und absichtlichem Rassismus gleichsetzt, ist ein konstruktiver Dialog über die verschiedenen Auffassungen und Erscheinungsformen von Rassismus notwendig, um die (Weisse) Bevölkerung für den oft unerkannten strukturellen und alltäglichen Rassismus zu sensibilisieren. Darüber hinaus ist eine ständige Selbstreflexion erforderlich, um die eigene (unbewusste) Reproduktion rassistischer Verhaltensmuster zu erkennen und zu vermeiden. Als Weisse Person sollte man sich bewusst sein, dass man in einer privilegierten Situation ist. Dieses ‘white privilege’ zu thematisieren, ist immer noch weitgehend tabu. Wie die vorliegenden Forschungsresultate zeigen, sollte jedoch vermehrt untersucht werden, warum und wie es sich reproduziert.

Zuleika Valeria Schwarz ist dipl. Physiotherapeutin und Absolventin des MAS in «Intercultural Communication» (Universität Lugano). Nebst ihrer Arbeit als dipl. Physiotherapeutin in öffentlichen und privaten Institutionen der Deutsch- sowie der Französischen Schweiz, war sie auch für NGOs in der Akut-Versorgung für Flüchtlinge ausserhalb der Schweiz tätig. Sie ist Autorin der Masterarbeit “Have you ever been black since you always know how it feels? Perceived racist discrimination of nurses of colour in Swiss health care institutions.” (2019). 

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